Mittwoch, Oktober 11, 2006

Kulturtheoretische Betrachtungen und Blood, Sweat & Tears

Einen Internetzugang in Ehren kann niemand verwehren und so habe ich mir heute frei genommen sozusagen, um der einen oder anderen Korrespondenz zu froehnen und meinen Blog auf Vordermann zu bringen. Es gibt sogar Fotos zu bestaunen - einfach auf die unterstrichenen und fett markierten Stellen im Text klicken...

Eine Woche Busch liegt hinter mir und es gibt so viel zu erzaehlen bezueglich der vielen Anekdoten, Erlebnisse und Beobachtungen. Aber egal wie ich es anfange, liegt ein grosses Problem darin, dass die Ideengeschichte der Begriffe, die ich benutzen will, nicht so ganz zu den beobachteten Phaenomenen hier passen will. Spreche ich von Armut meine ich nicht das, was sich mein (und euer) westlich gepraegtes Koepfchen dabei denkt. Genauso verhaelt es sich mit fast allem. Jaja ich weiss jetzt werden einige von Euch denken...Alter! Bloeder Kulturwissenschaftler – komm mal runter... aber tut mir leid - so siehts aus.

Ich versuche deswegen schon seit einiger Zeit nicht mehr wertende und beschreibende Notizen zu machen, sondern lediglich Anekdoten und Momente zu Papier zu bringen, die mir vielleicht in ihrer Quantitaet (und vielleicht auch Qualitaet ;-) zu Hause mit etwas Abstand betrachtet die Moeglichkeit geben allumfassendere Worte fuer all das hier zu finden.

Wir sind nach einer fast dreistündigen Busfahrt also am 29.09.2006 in der kleinen Provinzhauptstadt Monze angekommen. Nachdem wir alle Einkaeufe auf den Maerkten fuer die kommende Woche und den von uns mit 30 Farmern durchzufuehrenden Workshop zum Anbau von Maniok erledigt hatten, nahmen wir Kurs auf ein mitten im Busch liegendes Oertchen, das sich Kanchomba nennt, und in dessen unmittelbarer Umgebung das Kanchomba Farm Institute (KFI) liegt.

Das Institut ist sowas wie ein grosses Werbeareal fuer die Kleinbauern der Umgebung. Der Boss des ganzen (Mr Chisenga) liess es sich auch nicht nehmen mir noch im Dunkeln alles zu zeigen – selbst den Kaninchenstall. Die haben beim Anstrahlen mit meiner Taschenlampe einen Schreck fuers Leben bekommen glaube ich. Kurz umrissen kuemmert sich das KFI um die Promotion und Distribution von alternativen Nutzpflanzen. 90% der Farmer bauen Mais an, weil sie meinen das waere schon immer so gewesen. (Obwohl die Amis Anfang des 20. Jahrhunderts den erst nach Afrika importiert haben!) Dabei existieren viele verschiedene Pflanzen, die sich um Laengen besser eignen in dieser Region angebaut zu werden – zu mal sie weniger Aufwand beduerfen und sogar noch mehr abwerfen – im Bezug auf den Ernteertrag und auf den Verkaufserloes.

Die Farmer machen sonst auch noch ne ganze Menge anderer komischer Sachen – ich hab da Kuehe gesehen, bei denen man sich fragt welcher Vollidiot das Brandzeichen gesetzt hat. Macht sich naemlich nicht so guenstig, wenn man eine Ziffer wie die 8 oder die 6 waehlt bei der ein Zwischenraum entsteht, der dann – weil drumherum alles tief ins Fleisch hinein verbrannt ist – langsam beginnt zu faulen. Das klingt alles so, als ob hier alle bloed waeren, aber das ist zu einfach gedacht. Das Problem stellt in den meisten Faellen die traditionelle Verankerung und die mangelnde Bildung dar. Wenn der Grossvater das halt auch schon gemacht hat, wird das nicht wirklich hinterfragt. Nicht weil man des Hinterfragens nicht faehig ist, sondern weil man nie gelernt hat zu hinterfragen. Kleine Anekdote hier am Rande von denen ich schon einige sehr lustige gehoert habe. Einer der Workshop-Dozenten hat mir dir Sache mit der Weitergabe von Traditionen im afrikanischen Kontext in einer Art Witz erklaert:

„Eine Frau serviert ihrem Mann jeden Sonntag zum Mittag eine grosse Wurst auf einem Teller von der sie immer das hintere Ende abtrennt. Als der Mann sie nach vielen Jahren darauf zum ersten Mal anspricht, entgegnet die Frau ihre Mutter haette das auch immer gemacht. So geht der Mann also zur Grossmutter, um sich nach dem Grund fuer das Abschneiden des Wurstendes zu erkundigen. Die Grossmutter antwortet ihre Mutter haette das ebenfalls immer so gemacht. So geht der Mann also zur Urgrossmutter und fragt auch hier nach dem Grund. Die Urgrossmutter erklaert, dass der Teller ihres Mannes zu klein fuer die Wurst gewesen waere, weshalb sie immer ein Stueck abschnitt, damit die Wurst auch vollends auf den Teller passt. So kam also eines zum anderen.

Genau da setzte unser Workshop quasi auch an. Wie gesagt bauen fast alle Kleinbauern Mais an, weil es ihrer Meinung nach schon immer so gewesen sei. Die Wahrheit ist, dass im Hinblick auf das jahrzehntelang verfolgte Monokulturprogramm des Landwirtschaftsministeriums im Ein-Parteien-Staat Zambia waehrend der 70er und 80er Jahre sich fuer Mais ein gutes Infrastrukturnetz gebildet hat. Viele der konsumierten Nahrungsmittel basieren auf Mais und aller Orten hat man Zugang zum Marktmechanismus, der auch den entlegenst anbauenden Farmern den Absatz ermoeglicht. NGOs wie wir oder staatliche Einrichtungen wie das KFI versuchen andere Nutzpflanzen zu promoten. Wie bespielsweise Maniok – das hier Cassava heisst. Das ist weniger duerreanfallig, braucht generell nicht viel Wasser, laesst sich vom Mehl bis zum Oel vielseitig verwenden und wirft auch hinsichtlich Ernte und Verkaufserloes verglichen mit Mais mehr ab. Den aus unserem „Einsatzgebiet“ stammenden 30 Farmern sollte nun also in einem Workshop der Anbau, die Ernte, der Verkauf etc. von Maniok erklaert werden, um sie im Anbau zu schulen und sie somit fuer uns zu „Community Action Communicators“ zu machen, die dann wiederum in ihren Gemeinden das Gelernte an die oertlichen Farmer vermitteln. Das hat alles sehr gut geklappt und die Farmer waren alle sehr aufgeschlossen und voller Tatendrang hinsichtlich des Anbaus von Maniok.

Problem liegt derzeit darin, dass kein Geld da ist, um Saatgut zu kaufen. Ich werde mich also die naechsten Wochen darum kuemmern von hier aus eine Spendenaktion in Deutschland ins Leben zu rufen. Die Summe ist vergleichsweise laecherlich. Um den 30 Farmern noch vor dem Einsetzen der Regenzeit im Dezember das Saehen von Maniok auf einem Hektar zu ermoeglichen werden pro Farmer und Hektar 25 Euro benoetigt. Das macht bei 30 Farmern hochgerechnet ungefaehr 750 Euro und die sollten sich doch irgendwie auftreiben lassen. Zumal von diesem Hektar im naechsten Jahr Senker fuer weitere 10 Hektar gewonnen werden koennen und das die Einkommensverhaeltnisse einer ganzen Region nachhaltig veraendern duerfte. Ich hab ja in einem vorangegangenem anderen Eintrag von dem Teufelskreis aus HIV/AIDS, Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum etc. gesprochen und dieser Ansatzpunkt mit dem Anbau von Maniok gibt zum einen Kapazitaeten zur Beschaeftigung sowie den Farmern die Moeglichkeit ihre Kinder vom Verkaufserloes vernuenftig zur Schule zu schicken. Das kann manchmal alles so einfach sein. 750 Euro... Wenn sich einer von Euch – ich mein wir haben ja auch fast schon Vorweihnachtszeit ;-) – angesprochen fuehlt und was beisteuern moechte, wuerde ich mich mehr als freuen und die Farmer erst recht. Schreibt mir einfach ne Mail – in Anbetracht der Gesamtsumme ist wirklich jeder kleine Betrag hilfreich.

So darum ging es also im ersten Teil des Workshops im zweiten Teil war dann eine Genderdiskussion geplant. Einige Polygamisten waren unter den maennlichen Workshopteilnehmern und ich war mehr als gespannt wie ihre Haltung zu den Dingen nach der zweitaegigen Diskussion und den Arbeitsgruppen ausfallen wuerde. Besonders interessant war eine Art Planspiel. Darin wurden die Workshopteilnehmer in eine maennliche und eine weibliche Gruppe geteilt und sollten aufschreiben wie in einer „normalen“ Familie bestehend aus einem Mann, einer Frau, einem Sohn und einer Tochter die Arbeitsteilung auf einer Farm vonstatten geht. Die einzelnen Arbeiten wurden in der Auswertung dann in produktive, reproduktive, gemeinschaftliche und freizeitbeschaeftigende Arbeiten eingeteilt. Fuer jede Arbeit wurden auf die einzelnen Familenmitglieder verteilt Punkte vergeben, so dass sich letztendlich ein ziemlich genaues Bild der Verteilung abzeichnen liess. Wenig ueberraschend war das Ergebnis.

Am Ende des Workshops sollten dann alle Teilnehmer kurz nach vorn kommen und kurz erklaeren was sie gelernt haben. Den Maniokanbau empfanden alle als eine spannende Sache und wuerden damit allzugerne sofort loslegen. Hinsichtlich der Genderdiskussion machten die Frauen darauf aufmerksam, dass sie sich wuenschten von den Maennern mehr Respekt entgegengebracht zu bekommen und einige Arbeiten besser verteilt sehen moechten. Die Maenner – und das war vom Ausgangspunkt der Diskussion betrachtet sehr ueberraschend – sahen die Problematik ebenfalls und erklaerten allesamt etwas zu aendern (siehe die Stichpunkte auf dem Ergebnis-Flipchart).

Drueber reden und wirklich handeln ist nicht das Gleiche aber wenn nur eine Handvoll Farmer beginnt umzudenken, kann der Workshop als Erfolg betrachtet werden.

Ich bin waehrend der Woche auch ne ganze Menge rumgekommen und habe mir die einzelnen Projekte der SAF angesehen. Von der Eselzucht (die Esel koennen von Waisen und Witwen ausgeliehen werden, um ihnen den Ackerbau zu erleichtern), einem Fischaufzuchtbecken und dem Besuch im „chief’s palace“ beim Chief Monze (Chief der Ethnie der Tonga fuer dieses Gebiet – also vergleichbar mit dem Ministerpraesidenten eines deutschen Bundeslandes J) – der leider nicht da war, sondern nur - weil patilinear – seine aeltere Schwester. (Wenn das Tom und Tobi lesen, lasst euch gesagt sein, dass ich zumindest manchmal das Gefuehl habe in unseren Seminaren bei Frau Arnold und Herrn Jones was in der Praxis Brauchbares gelernt zu haben) Ausserdem traf ich noch auf 3 junge Frauen, die gerne nach Deutschland wollen und mich gerne geheiratet haetten und war weiterhin Teil eines Tanzabends. Ja ich hab mitgetanzt und das fuehlt sich beim ersten Mal mehr als eigenartig an – das koennt ihr mir glauben - aber wenn man mit den Smiths einschlafen kann, geht das schon in Ordnung J .

Ich hoffe der Herbst macht Euch allen nicht all zu sehr das Leben schwer. Hier wird es mit jedem Tag etwas unertraeglicher und die Temperaturen bleiben zur heissesten Tageszeit nur knapp unter 40 Grad. Die Regenzeit stampft mit grossen Schritten auf mich zu und das kann noch was werden...

Diese Woche wird alles mit dem neuen Buero hieb- und stichfest gemacht, so dass wir Anfang naechster Woche einziehen koennen und ich mich ein wenig – basierend auf rudimentaeren Kenntnissen aus all den Einrichtungsshows im deutschen TV – mit dem Gemuetlichmachen beschaeftigen werde - Dann wie oben beschrieben das Geld zusammentrommeln und die anderen Aufgaben in Angriff nehmen von denen ich Euch ja schon berichtet habe.

Gehabt Euch wohl! Gruesst mir meinen geliebten Herbst. Ueber Post, Emails und Kommentare freut sich hier stets jemand sehr. By the way ist es ein wunderbares wenn auch eigenartiges Gefuehl mit EA80, Smiths, Morrissey, Sick of it All, Samiam und der neuen d.h. :-) auf dem mp3-Player durch Lusaka oder durch den Busch zu schlaendern. Die Reaktionen von zambischen Jugendlichen, die auch mal hoeren wollen und dann gerade bei Sick of it all’s inbruenstig vorgetragenem „F*** Disco; F*** Everything!“ sozusagen reinhoeren, sind jedesmal ein Fest. Kulturauftrag wird also auch wahrgenommen... keine Sorge...

1 Comments:

Blogger Stine Eckert said...

hejhej philipp

dein blog macht journalismusmäßig glücklich - schön reportageartig, bemühen um vermeidung von wertung, einordnen etc. :-D

wie sieht es denn mit den journalistischen ambitionen aus? schon plaene, was loszuschlagen?

Oktober 19, 2006 5:41 AM  

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