Donnerstag, Oktober 26, 2006

Polychronie vs. Monochronie oder die Geschichte von Philipp, der eine Lektion ueber zambisches Zeitmanagement & das “eins werden mit der Ruhe” erhielt

Es war eine ganze Weile ruhig im Tagebuch. Komischerweise lag das jetzt gar nicht so daran, dass ich zu viel zu tun gehabt haette - eher am Gegenteil und an der unheimlichen Verkettung kurioser Umstaende zum einen und der wesentlichsten sowie unerwartesten Erfahrung, die ich bisher als Hin-und-Her-Gerissener zwischen zwei Kulturkreisen gemacht habe. Aber der Reihe nach…

Wie immer die unterstrichenen Woerter sind gleichzeitig Fotolinks...

Die Woche nach meiner Rueckkehr aus der Suedprovinz ging sehr schnell vorbei. Es gab einige Wege gemeinsam mit der Gastmutti aka Chefin zu erledigen. Da ein Meeting, da eine Absprache, da ein Kaffeekraenzchen und hier eine gemeinsame Ueberlegung.

Bei meinem dritten Besuch in der Einwanderungsbehoerde hab ich dann auch tatsaechlich meinen Stempel bekommen fuer die noetige VISA-Verlaengerung. Beim ersten Mal wollten die Herren Immigration-Officer nicht so richtig, weil ich sie beim Kreuzwortraetseln gestoert habe, beim zweiten Mal (im Uebrigen der Tag an dem der gute Mann gesagt hat, dass ich wiederkommen soll) ging es auch nicht, weil es naemlich nicht GENAU der Tag war, der als letzter Tag auf dem alten VISA-Stempel ausgeschrieben war. Dumm nur, dass er mir das beim ersten Besuch gar nicht verraten hat. Beim dritten Besuch war dann alles ganz einfach. Lektion 1 sozusagen ueber Effizienz und Zeitmanagement. Mit dem Minibus dauerte es jeweils eine Stunde hin und zurueck und eine halbe Stunde wartete man – also 5 Stunden fuer die ersten beiden erfolglosen Versuche und 2 Stunden und ein paar Minuten fuer den dritten erfolgreichen VISA-Verlaengerungsversuch – macht nach Riese Adam 7 Stunden und Zerquetschte fuer einen Stempel. Beim ersten Mal habe ich mich sehr geaergert, beim zweiten Mal eigentlich schon fast gelacht und fuer meine erste Lektion war ich recht zufrieden mit der Reaktion meines eine rationale Lebensfuehrung verfolgenden Charakters. Aber die Lektionen sollten schwerer werden und Frodo befand sich noch ganz am Anfang seiner langen Reise durch ihr wisst schon. Golle war ihm dicht auf den Versen...


Die Woche ging dann schick weiter mit dem Besuch einer Karaoke-Bar, die einem durchgeknallten Maurizier gehoert, welcher – so vermute ich – eigentlich gerne Saenger geworden waere. Da das aber nicht geklappt hat, eroeffnete er ein Restaurant und baute da eine Karaokemaschine ein. Da Menschen, die in Restaurants gehen, meistens zumindest was essen und nicht singen wollen, ist die Buehne nicht so arg frequentiert. Aber unser verhindertes Gesangstalent ist stets praesent, um einem alles von Simon & Garfunkel bis „Country Roads“ vorzutragen. Das Essen war lecker und ich glaube wir haben alle Glueck gehabt, dass er ein Restaurant aufgemacht hat und nicht Saenger geworden ist. Ich sollte auch singen – wie im Ausland ueblich wird einem, wenn es um Musik geht vor dem Hintergrund, dass man aus Deutschland kommt, selbstredend promt ein SCORPIONS-Song vorgeschlagen... Nee lass mal... Ich hab dann wenigstens gedacht ich finde in dem annaehernd 1000 Lieder umfassenden Katalog etwas halbwegs auch fuer ein aehnlich grosses Gesangstalent wie mich passendes, aber da war nichts mit einer lauten Gitarre zu finden und haette ich ROXETTE oder PET SHOP BOYS gesungen, waere den Leuten wahrscheinlich das Essen aus dem Mund gefallen. Ich hab mich irgendwie erfolgreich darum druecken koennen... Uiuiuiui nochmal Glueck gehabt.

Der eigentlich fuer diese Woche auch vorgesehene Bueroumzug wurde dann das erste Mal verschoben. Dem Makler fehlte ein Dokument. Dass er deswegen mal anruft, damit wir ihm das zukommen lassen, nachdem er uns schon gesagt hat, dass wir zu einem bestimmten Termin einziehen koennen, hat er vergessen. Aber „Sorry Sir Sorry Mam - in einer Woche koennen Sie dann rein.“ Ich zwang mich zu laecheln.
Kurfassung: Wir zahlen also seit dem 1. Oktober Miete fuer ein Buero. Der Einzugstermin war fuer den 11.10. vorgesehen. Am 10.10. wurde uns mitgeteilt, dass da ein Dokument fehlt – Umzug verschoben auf den 18.10.
Meinetwegen kann ja mal passieren. Fuer mich war das dann etwas unguenstig, weil hier zu Hause am Kuechentisch laesst sich schwer abreiten. Es gibt nur einen PC und die ganzen Unterlagen sind ja in Kisten verpackt.... Ich machte mir also so meine Gedanken wie ich die Woche ueber die runden bekomme. Habe viele Sachen die Arbeit der NGO betreffend durchgeakert, hab mir das Nationalmuseum angesehen, hab Mrs. Nkunika auf eine Beerdigung begleitet und war beim Frisoer. Klingt spannend was?... Ja so war das.
Am 17.10. sind wir dann ins Buero gegangen, um zu schauen, ob alles in soweit vorbereitet ist, dass wir am naechsten Tag rein koennen. Wir kommen da also an und ich dachte nur noch „Philipp, ganz ruhig – das ist deine zweite Lektion – bleib ganz ruhig, tief einatmen, und ausatmen und wieder...“
Wir betraten das Buero. Immernoch kaputte Lampen, nicht funktionstuechtige Klimanlage, alter Teppich, dreckige Fenster so dass man nicht so wirklich was sehen kann (wir reden von der 8. Etage in einem Bueroturm, in dem sich die Fenster nicht oeffnen lassen) und ueber abgeknabberte Maiskolben in der Ecke schweigen wir uns mal aus. Es gab da wohl ein Missverstaendnis zwischen Maklerbuero und Hausverwaltung aber alles kein Problem. 2 Tage und dann ist das alles in Ordnung gebracht. Super und wunderbar noch zwei Tage rumhaengen bekomme ich ueber die Buehne gebracht und dann endlich...

Mrs. Nkunika meinte dann am Freitagmorgen sie muesse auf eine Beerdigung und wir ziehen deswegen erst Montag um. Was sein muss, muss sein und das leuchtete mir ein. (Die Beerdigungen gehen hier den ganzen Tag mit Gottesdienst, Beerdigung, gemeinsamen Essen und Versammeln im Haus des Verstorbenen).

Am Montag sind wir dann – WER WEISS ES??? WER WEISS ES??? Genau auch nicht umgezogen, weil es gab noch ne Beerdigung. Dumm gelaufen im doppelten Sinne. Dienstag geht nicht weil Unabhaengiglkeitstag. O.K. das macht Sinn. Also Mittwoch und dieses Mal – ich konnte es kaum glauben haben wir wirklich alle Kisten auf einen Pick-Up geladen und zum Bueroturm in der Innenstadt geschafft. Ich hab schnell die Schluessel bei der Hausverwaltung geholt und bin losgesprintet. Die Wartezeit fuer den Aufzug betraegt in ungefaehr so lange, wie wenn man in den 8. Stock einmal hoch und wieder runter den Weg durch das Treppenhaus nimmt. Ich war so froh, dass es endlich wieder etwas zu tun gab und zakk zakk zakk stand ich vor der Tuer. Mhm Tuerschloss immernoch kaputt. Haben sie bestimmt vergessen. Tuer geht auf. Ach die Maiskolben sind weg. Fein. Lichtschalter. Ui die Haelfte der Lampen geht immernoch nicht. Komisch. Tuer zum zweiten Raum wird voller Vorfreude geoeffnet. Fenster dreckig. Klimanalage tot. Lampen im Eimer. Teppich nicht ausgetauscht. 25 Tage und die haben nichts gemacht!!! Das alte Spiel: „Philipp, Einatmen und Ausatmen – ist alles nicht so schlimm. Machst Du alles selber ganz – Hauptsache was zu tun und endlich im Buero.“ Wozu der Elektriker!!!, der Zimmermann!!! und der Schlosser!!! sich beim letzten Besuch mit uns gemeinsam das Buero angesehen haben und fleissig an einer To-Do-Liste gearbeitet haben, weiss ich auch heute noch nicht. Heute morgen dann also hin, um zu beginnen alles einzurichten, zu reparieren und arbeitsplatztauglich zu machen. Mein Freund der Elektriker schaut mit seinem Lehrling und einem Mann, der auch wichtig ist vorbei... „Good Morning Sir, Good Morning Mam - How are you? A nice day, isn’t it?“... Mrs. Nkunika ist fuer zambische Verhaeltnisse ganz schoen aufbrausend geworden und hat geschimpft, dass das ja wohl alles nicht wahr sein kann.
Der Elektriker nimmt also die 2 Draehte die aus der Klimaanlage kommen und steckt sie in das, was mal eine Steckdose war und die Klimaanlage beginnt zu surren. Die Lampen so wird uns gesagt, seien in Eigenregie zu wechseln und der Teppich sei ja wohl noch in Ordnung... Have a nice day!
Als der Elektriker die 2 Draehte reingesteckt hatte und dieses Monster von Klimaanlage anfing zu surren – nach sozusagen 2 Sekunden koerperlicher Arbeit fuer den guten Mann von der Zunft der Elektronikfachleute konnte ich nicht anders und hab mich ohne Uebertreibung weggehauen vor lachen. Ich bin sogar rausgegangen. Sie haben mich alle ganz fragend angesehen. 25 Tage fuer 2 Draehte reinstecken... 2. Lektion erfolgreich hinter mich gebracht. Die Dritte wird nicht lange auf sich warten lassen.

Die entscheidende Erfahrung ist: Hier ist Zeit polychronisch wohingegen bei uns alles monochronisch ist. Das hab ich im Vorfeld zwar erahnt aber in der Auspraegung nie und nimmer erwarten koennen. Man muss aber lachen sonst wird das nix. Ich gebe, was das angeht, mein Bestes. Habe heute in 2 Stunden den Teppich gereinigt, das Klimaanlagenkabel in soweit fixiert, dass ich keine angst vor Kurzschluessen oder Funkenregen haben muss, die funktionsfaehigen Neonroehren so ausgetauscht, dass das mit dem Licht schon irgendwie geht und mit dem Taschenmesser aus dem Praktiker Baumarkt so lange am Schloss rumgefriemelt bis es funktioniert hat. Es ist alles eine Frage des sich Arrangierens. Jawohl! Und diejenigen unter Euch die mich gut kennen, koennen sich denken – warten, nichts tun, Ineffizienz in dieser Form... Philipp geht es dann ueberhaupt nicht gut. Aber seit heute alles gut und es geht wieder rund... so viel Zeit bleibt ja nicht mehr und ich will noch einiges anleiern auch um dann von Deutschland aus weiter aktiv bleiben zu koennen vor allem was die Gelderaquierung angeht.

So das mal wieder als kleine Anekdote hier aus Lusaka...
An dieser Stelle moechte ich mich erst einmal bei meiner Familie bedanken, die mich von zu Hause aus super unterstuetzen beim Sammeln des Geldes fuer das Maniok-Saatgut.
Ausserdem bei den vielen Leuten, die sich bei mir gemeldet haben, um die Sache mit einer Spende zu unterstuetzen. Nie und nimmer haette ich gedacht, dass das alles so fein anlaeuft und dass wir auf einem guten Weg sind das Geld wirklich in den verbleibenden 14 Tagen zusammen zu bekommen. Es fehlt aber noch ein gutes Suemmchen – von daher wenn noch jemand meint, die Sache unterstuetzen zu wollen einfach ne Email an mich schicken.

Mir bedeutet das sehr viel, dass es Leute gibt, die sich fuer diese Homepage interessieren und sogar bereit sind die Sache mit den Farmern und dem Maniok zu unterstuetzen. 1000x Danke! Ich werde hoffentlich Eure Spenden schon bald bei den Damen und Herren abgeben koennen– Daumen druecken!!!

Es wird sogar eine Soli-Maniok-Party in Leipzig geben und zwar am 04.11.2006 im Cafe Cantona. Naeheres folgt an dieser Stelle in Kuerze.

Es gab ausserdem einige Wuensche auch mal etwas ueber die profaneren Dinge wie Essen, Haus in dem ich wohne, zambische Bierflaschengroesse sowie Muecken und andere wilde Tiere zu berichten... Na ich werd mal losziehen und das auch alles fotografieren damit dann beim naechsten Eintrag wieder ordentlich Multimedia am Start ist.

Bei all der Warterei blieb aber noch genug Zeit dazwischen mal schnell auf dem Markt eine Ziege zu kaufen, die dann im Kofferraum des Familenautos als Hochzeitsgeschenk zu eben jener gebracht wurde... und dann waren da auch noch die Tochter und die Nichte von der Schwester der Verlobten meines Gastbruders namens Cheelwe und Nalishebo, die grosse Freude daran hatten meine Haare zu durchwuehlen (bzw. was nach dem Frisoerbesuch noch davon uebrig ist), meinen Nasenring fast aus der Verankerung zu reissen und mich auszulachen, weil ich den Maisbrei – Nshima – nicht mit den Haenden, sondern mit einer Gabel esse. Was sie zu der Aeusserung verleitete: „Mama! Mama! - Uncle Philipp eats his Nshima like Mr. Bean with a fork!“ Ich hab sooo gelacht mit dne beiden. Tja wenn der einzige importierte Mann, den die beiden vor mir kennengelernt haben, Mr. Bean heisst dann...

Viel Spass mit den Boxies am Wochenende!!!

PS: Wer mir noch schreiben will, sollte die Post bis zum 3.11./04.11. abgeschickt haben, sonst bekomme ich sie nicht mehr...